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Sturm im Kopf - wann ist Schwindel gefährlich?

14. März 2023

Schwindel ist ein häufiges Symptom. Wann er dringend oder sogar notfallmässig abgeklärt gehört, erläutert Dr. med. Anett Ulrich-Marti, Oberärztin mbF Neurologie am Kantonsspital Aarau.

  • Autor / Autorin Dr. med. Anett Ulrich-Marti
  • Lesedauer ca. 4 Minuten
  • Themen Ratgeber Hirn / Nervensystem
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Andreas Krebs

Schwindel wirkt auf Betroffene oft bedrohlich und ist einer der häufigsten Gründe für die Vorstellung auf dem Notfall. In den meisten Fällen liegt eine harmlose Störung des Gleichgewichtsorganes im Innenohr vor (Vestibularapparat). «Die Aufgabe der Notfallmedizinerin oder des Notfallmediziners ist es, eine gefährliche Ursache, insbesondere einen Schlaganfall, nicht zu verpassen und schnell zu behandeln», sagt Dr. med. Anett Ulrich-Marti, Oberärztin an der Klinik für Neurologie im Kantonsspital Aarau und Konsiliarärztin auf dem Notfall. Dann zeigen sich in aller Regel weitere neurologische Ausfälle wie Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Sprechstörungen oder Lähmungserscheinungen.

Neben dem häufigen peripheren Schwindel und dem deutlich selteneren zentralen Schwindel (ca. 20 Prozent) müsse man auch an internistische Ursachen wie Herzrhythmusstörungen, Blutdruckprobleme oder Medikamen­tennebenwirkungen denken, so Ulrich-Marti. Manchmal liege auch eine reine psychische Ursache zugrunde – ein sogenannter phobischer Schwindel.
 

Lagerungsschwindel: Unangenehm, aber ungefährlich

Das Symptom Schwindel ist sehr variabel und reicht von kurz dauernden Drehschwindelattacken über anhaltenden Schwankschwindel bis hin zum diffusen Benommenheitsgefühl. Die Einordnung des Schwindels im ausführlichen Arztgespräch gibt bereits wichtige Hinweise auf die Ursache; die darauf­folgende neurologische Untersuchung klärt die meisten Fälle.

Bei den meisten Patientinnen und Patienten, die mit Schwindel auf den Notfall kommen, können wir noch am selben Tag eine Diagnose stellen

Die häufigste Form des Schwindels ist der «benigne paroxysmale Lagerungsschwindel». Er ist durch Drehschwindelattacken bei Kopfbewegung gekennzeichnet, häufig begleitet von Erbrechen – «äusserst unangenehm, aber nicht gefährlich», so Ulrich-Marti. Dieser Schwindel kann anhand spe­zieller Lagerungsproben rasch diagnostiziert und behandelt werden. Die Ursache: kleine Kristalle, sogenannte Otolithen, die sich nach einem Kopfanprall oder spontan abgelöst haben und nun im Innenohr reizen, was den Schwindel herbeiführt. Mit gezielten Bewegungen des Kopfes, sogenannten Befreiungsmanövern, können die Kristalle so bewegt werden, dass sie keinen Schwindel mehr auslösen.

«Bei den meisten Patientinnen und Patienten, die mit Schwindel auf den Notfall kommen, können wir noch am selben Tag eine Diagnose stellen», sagt Ulrich-Marti. «Andere verweisen wir zur weiteren Abklärung an unsere Schwindelsprechstunde und die HNO-Klinik.» Dort stehen dem interdisziplinären Expertenteam diagnostische Verfahren zur Verfügung, von der Bildgebung des Kopfes (MRI) bis zu apparativen Untersuchungen des Innenohrs.
 

Mit Physiotherapie Vertrauen in den Körper aufbauen

Doch trotz ausgefeilter Techniken: «Bei manchen Patienten, vor allem solchen, die unter chronischem Schwindel leiden, können wir den Schwindel nicht eindeutig zuordnen.» Oft gebe es dann mehrere Faktoren, die eine Rolle spielen könnten – von neurologischen Begleiterkrankungen wie Polyneuropathien bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Letztlich müsse man auch an die Möglichkeit eines psychogenen Schwindels denken, sagt Ulrich-Marti: «Diese Diagnose kann man aber erst stellen, wenn alle Untersuchungen ab­geschlossen sind und keine organischen Ursachen gefunden werden konnten.»

Der Verdacht auf eine psychogene Ursache wird in der Schwindelsprechstunde bei ca. 5 Prozent der Patientinnen und Patienten gestellt. Das Wichtigste sei in diesen Fällen die Aufklärung, dass es sich um keinen gefährlichen Schwindel handle. «Trotzdem muss man das Symptom ernst nehmen. Denn Schwindel schränkt die Lebensqualität enorm ein», betont Ulrich-Marti.

«Schwindel ist vor allem bei älteren Menschen oft begleitet von der Angst vor Stürzen.»

Ein wichtiger Aspekt der Therapie bei allen Schwindelformen sei die physiotherapeutische Unterstützung, so die Expertin. «Schwindel ist vor allem bei älteren Menschen oft begleitet von der Angst vor Stürzen.» Folglich drohe die Gefahr der Immobilität. «Hierbei machen wir sehr gute Erfahrungen mit gezielter Physiotherapie durch speziell im Bereich Schwindel und Gleichge­wichtstraining ausgebildete Therapeutinnen.» Dabei gehe es darum, das Vertrauen in den eigenen Körper wiederaufzubauen.

 

Wann und wie dringlich soll man Schwindel abklären lassen?

Mit dem Alter nimmt die Häufigkeit von Schwindel zu. Mit ein Grund dafür sei, dass ältere Menschen öfter an Begleiterkrankungen leiden und häufiger Medikamente einnehmen, so Ulrich-Marti. «Viele Medikamente können Schwindel verursachen», erklärt sie. Das gelte insbesondere für Herz- und Blutdruckmittel, Antidepressiva sowie für starke Schmerzmittel. «Wenn nach der Neuverschreibung eines Medikaments Schwindel auftritt, sollte man die Einnahme pausieren oder das Medikament wechseln.»

«Bei plötzlich auftretendem und vor allem anhaltendem Schwindel sollte die Notfallaufnahme aufgesucht werden.»

Mit zunehmendem Alter steige auch das Risiko für gefährliche Schwindelursachen, fährt Ulrich-Marti fort. Sie appelliert, bei plötzlich auftretendem und vor allem anhaltendem Schwindel die Notfallaufnahme aufzusuchen. Das gelte auch für junge Menschen, betont die Neurologin.

Bei bereits länger anhaltendem Schwindel ist die Hausärztin oder der Hausarzt die erste Ansprechstelle. Wenn der Schwindel anhält und sich nicht eindeutig zuordnen lässt, lohnt sich die Zuweisung in eine Spezialambulanz. In der spezialisierten Sprechstunde der Klinik für Neurologie werden in enger Zusammenarbeit mit der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen entsprechende Untersuchungen und Therapien angeboten.
 

Wann ist Schwindel ein Fall für den Notfall?

Wenn der Schwindel plötzlich einsetzt, anhaltend ist, vom Charakter drehend ist («wie auf dem Karussell») oder begleitet wird von Übelkeit, Erbrechen, Gleichgewichtsstörungen oder anderen neurologischen Symptomen, sollte sofort eine Notfallstation aufgesucht werden.

Neurologie am KSA Aarau

Die Neurologie umfasst die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen des Gehirns, Rückenmarks, der Nerven und Muskulatur. Zu unseren Schwerpunkten zählen die Behandlung von Schlaganfällen, Anfallsleiden, Entzündungen des Nervensystems (v.a. Multiple Sklerose), Bewegungsstörungen, Hirntumoren, Schwindel, Schmerz und dementiellen Syndromen (z.B. Alzheimer-Erkrankung).
Wenn der Schwindel anhält und sich nicht eindeutig zuordnen lässt, lohnt sich die Zuweisung in eine Spezialambulanz. In der spezialisierten Sprechstunde der Klinik für Neurologie werden in enger Zusammenarbeit mit der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen entsprechende Untersuchungen und Therapien angeboten.

Termin: auf ärztliche Zuweisung / nach Vereinbarung.

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