«Bitte, atme wieder»
20. Oktober 2025
Als Carlos in der 26. Schwangerschaftswoche zur Welt kam, wog er 940 Gramm. Seine Mutter Sarah erzählt von ihren prägenden Erfahrungen auf der Neonatologie in Aarau.
- Autoren / Autorinnen KD Dr. med. Philipp Meyer Dr. med. Monya Todesco Bernasconi
- Lesedauer ca. 8 Minuten
Sarah, wie hast du deine Schwangerschaft erlebt?
Eigentlich gut. Die Übelkeit in den ersten 14 Wochen war ganz normal. Carlos war ein Wunschkind, gezeugt mit Hilfe einer Hormonbehandlung. Alles verlief ruhig – bis zur 25. Woche.
Wann wurde klar, dass dein Kind viel zu früh auf die Welt kommen könnte?
Ich bekam Blutungen und spürte ein Ziehen im Bauch. Zuerst dachten wir, das wären Dehnungsschmerzen. Doch es wurde schnell schlimmer. In der Notfallaufnahme eines nahegelegenen Spitals stellte sich heraus, dass ich bereits Wehen hatte und der Muttermund fast vollständig offen war! Dann ging alles sehr schnell: ab mit der Ambulanz ins KSA. Drei Stunden später war Carlos da.
Wie hast du die Geburt erlebt?
Unvorbereitet! Ich hatte ja keinen Geburtsvorbereitungskurs machen können. Die Geburt verlief ganz konzentriert und ruhig. Es war ein wunderbares Erlebnis mit zwei einfühlsamen Hebammen, die mich begleitet haben. Als Carlos auf die Welt kam, wurde das Neonatologie-Team alarmiert und Carlos wurde sofort mitgenommen. Mein Mann durfte noch die Nabelschnur durchschneiden. Ich selbst habe ihn kaum gesehen. Das hat mich noch sehr lange beschäftigt.
Wann hast du Carlos zum ersten Mal gesehen?
Drei Stunden später. Er lag im Brutkasten, so klein, so zerbrechlich. Ich konnte erst nach etwa zwei Wochen das erste Mal mit ihm kuscheln, ihn auf die Brust nehmen. Erst da hatte ich das Gefühl: Das ist mein Sohn.
Wie hast du es geschafft, präsent zu bleiben, obwohl Carlos im Brutkasten lag?
Ich habe vom ersten Tag an Muttermilch abgepumpt – Tag und Nacht, alle drei Stunden. Ich habe die Pumpe überallhin mitgenommen. Es war das Einzige, was ich in dieser Zeit für ihn tun konnte. Und das war mir extrem wichtig.
Wie hast du das Team im KSA erlebt?
Die Pflegefachpersonen waren nicht nur kompetent, sondern auch liebevoll und aufmerksam, besonders auch uns Eltern gegenüber. Die mich betreuende Oberärztin war immer dieselbe, Anna Tina Casanova, was uns viel Sicherheit gegeben hat. Sie hat uns regelmässig informiert und alles für uns verständlich erklärt, oft mit Skizzen und immer ganz ehrlich.

Was war besonders belastend in den drei Monaten auf der Neonatologie?
Die Atemaussetzer. Plötzlich beginnt der Monitor zu piepen, die Werte fallen, alles blinkt. Und du denkst nur: «Bitte, atme wieder.» Manchmal dauerte es wirklich lange, bis zu 30 Sekunden! Diese Momente haben sich eingebrannt. Der Monitor war unser ständiger Begleiter. Erst zwei Monate nach seiner Geburt atmete Carlos selbstständig.
Gab es auch emotionale Unterstützung?
Ja, eine Frau vom psychologischen Dienst kam regelmässig vorbei, einfach zum Reden. Und es gab eine Klangtherapeutin. Mein Mann hat das Angebot oft genutzt. Er lag mit Carlos auf der Brust, während sanfte Klänge den Raum erfüllten. Das hat beiden gutgetan.
Wie war der Moment, als ihr nach Hause durftet?
Am letzten Abend im April hiess es: «Morgen dürft ihr heim.» Carlos war jetzt 2,8 kg schwer und 48,5 cm gross. Die erste Nacht zu Hause war aufregend – und kühl. In der Neonatologie war es immer sehr warm, zu Hause hat Carlos am Anfang gefroren. Wir haben ihn eingepackt, mit Kappe, Decken und drei Pullis. Er war ja noch so winzig und hatte noch keine Fettreserven und ein noch unreifes Temperaturregulationssystem.
Carlos – mit 940 Gramm ins Leben
Geburt: In der 26. Schwangerschaftswoche (15 Wochen zu früh), 940 Gramm schwer und 37 cm gross
Neonatologie-Aufenthalt: 90 Tage, davon 43 Tage Atemunterstützung auf der Intensivstation
Ernährung: Ab Tag eins Muttermilch über Sonde. Ab elf Wochen selbstständiges Trinken.
Gesundheitliche Herausforderungen: Muskelspannungen (ambulante Physiotherapie) und eine Netzhauterkrankung (ohne bleibende Schäden).
Nachsorge: Gewichtskontrollen, Physiotherapie, Augenarzt, Hüftultraschall
Besondere Erinnerungen: Ein liebevoll geführtes Tagebuch des Pflegeteams mit Meilensteinen wie dem ersten Schoppen und dem ersten Kilo.
Entlassung: Nach drei Monaten mit 2,8 kg und 48,5 cm
Heute: Carlos ist 3,5 Jahre alt, 1,05 m gross und 18 kg schwer. Er ist lebhaft, fröhlich und neugierig. Ein gesunder Junge.
Wie ging es dir in den Wochen danach?
Zuhause war’s für mich anfangs viel schwieriger als im Spital. Dort gab es Monitore und Pflegepersonal. Zu Hause war ich plötzlich alleine verantwortlich. Ich hatte ständig Angst, dass er aufhört zu atmen. Ich habe Carlos nie aus den Augen gelassen. Wenn ich gekocht habe, hab ich das Babybett mit in die Küche genommen. Dauernd schaute ich: Hebt sich der Brustkorb? Bewegt er sich noch? Geschlafen habe ich kaum. Erst mit der Zeit – und mit Hilfe – wurde es ein bisschen besser. Aber diese Angst, die sass tief.
Wo hast du dir Hilfe geholt?
Ich war ein Jahr lang bei einer Psychiaterin, die Schul- und Naturmedizin kombiniert. Sie hat mir sehr geholfen, meine Ängste zu verarbeiten und wieder Vertrauen zu finden.
Wie hat dich diese Erfahrung als Mensch geprägt?
Ich bin heute viel gelassener. Stress im Job? Egal. Solange es Carlos gut geht, ist alles andere nebensächlich. Ich schätze das Leben viel mehr und rege mich über Kleinigkeiten nicht mehr auf.
Was würdest du anderen Müttern und Vätern mit auf den Weg geben?
Sich selbst nicht zu vergessen. Rausgehen, Kraft tanken. Und den kleinen Kindern Zeit lassen. Carlos hat sich in vielem langsamer entwickelt, mit dem Reden, Sitzen, Laufen. Aber irgendwann macht es Klick. Man darf sich nicht von aussen unter Druck setzen lassen. Denn jedes Kind geht seinen ganz eigenen Weg. Und manchmal ist dieses Tempo genau richtig.
Intim, aber nicht tabu
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