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    Tri|ge|mi|nus|neu|ral|gie – wenn Schmerz den Alltag zerreisst

    18. Dezember 2025

    Sie zählt zu den stärksten bekannten Schmerzformen – und ist dennoch wenig bekannt: die Trigeminusneuralgie. Prof. Dr. med. Gerrit A. Schubert, Chefarzt und Klinikleiter Neurochirurgie am Kantonsspital Aarau, erklärt im Interview, was hinter der Erkrankung steckt, wie Betroffene Hilfe finden können und weshalb sich das KSA zu einem wichtigen Referenzzentrum für die Behandlung dieser seltenen Nervenerkrankung entwickelt hat.

    • Fachperson Prof. Dr. med. Gerrit A. Schubert
    • Lesedauer ca. 10 Minuten
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    Nicht selten bekommen betroffene Patientinnen und Patienten zu hören, dass sie sich mit den Schmerzen abfinden müssten. Dabei ist genau das heute in vielen Fällen nicht mehr nötig.

    Was ist die Trigeminusneuralgie und inwieweit unterscheidet sie sich von Kopfschmerzen bzw. Migräne?

    Die Trigeminusneuralgie ist ein besonders starker Nervenschmerz. Er tritt blitzartig im Gesicht, an der Stirn, der Wange oder im Kiefer auf. Ursache ist in der Regel eine Reizung des Gesichtsnervs durch ein Blutgefäss, das neben dem Nerv verläuft. Mit jedem Pulsschlag wird der Nerv gereizt, bis er krankhafte Signale aussendet. Der Name der Erkrankung leitet sich vom betroffenen Gesichtsnerv, dem sogenannten «Nervus trigeminus», ab.

    Die Schmerzen sind aussergewöhnlich stark (auch als «worst kind of pain known to humankind» bezeichnet) und werden oft durch triviale Bewegungen wie Sprechen, Kauen oder Zähneputzen ausgelöst. Selbst eine leichte Berührung oder ein milder Windhauch können die Schmerzen im Gesicht auslösen.

    Im Gegensatz zu den Schmerzattacken der Trigeminusneuralgie treten Kopfschmerzen oder auch Migräne oft unprovoziert und dauerhaft auf. Auch die Ausbreitung der Schmerzen unterscheidet sich stark.

    Die Kampagne für das Neurozentrum 2024 des KSA hat viel Aufmerksamkeit auf das Thema Trigeminusneuralgie gelenkt. Was hat diese Resonanz bei Ihnen als behandelnder Spezialist ausgelöst und wie sieht die Versorgungssituation heute aus?

    Wir behandeln Trigeminusneuralgien bereits seit vielen Jahren, doch da es sich um eine eher seltene Erkrankung handelt, wird sie oft übersehen. Durch die Kampagne wurde das Bewusstsein in der Öffentlichkeit deutlich geschärft, unter anderem auch durch die Patientengeschichte von Isabella H. In der Folge erhalten wir heute deutlich mehr Anfragen zur Beurteilung oder Zweitmeinung, von Patientinnen und Patienten, die schon seit vielen Jahren trotz verschiedener Abklärungen unter Gesichtsschmerzen leiden.

    Die hohe Nachfrage hat dazu geführt, dass die Neurochirurgie am KSA mittlerweile eines der grössten Referenzzentren auf dem Gebiet der Trigeminusneuralgie ist.

    Prof. Dr. med. Gerrit A. Schubert, Chefarzt und Klinikleiter Neurochirurgie am Kantonsspital Aarau
    Prof. Dr. med. Gerrit A. Schubert, Chefarzt und Klinikleiter Neurochirurgie am Kantonsspital Aarau

    Wie stark beeinträchtigt diese Erkrankung den Alltag für Betroffene?

    Das ist ein ganz zentraler Punkt. Betroffene Personen führen oft kein normales Leben mehr, herkömmliche Schmerzmittel helfen kaum. Sie leben in ständiger Angst, dass diese unglaublich intensiven Schmerzen auftreten, und versuchen, jedweden Auslöser zu vermeiden. Essen ist oft kaum möglich, weil das Kauen den Schmerz auslösen kann. Als Folge verlieren viele Patienten an Gewicht. Oder sie ziehen sich sozial zurück, da selbst ein Lächeln oder ein leichter Luftstoss stärkste Schmerzattacken zur Folge haben kann.

    Dazu kommt, dass der Leidensweg vieler Betroffener meist aussergewöhnlich lang ist. Nicht selten dauert es mehrere Jahre, bis die Ursache für die Schmerzen gefunden wird. Oft haben die Patientinnen und Patienten in der Zwischenzeit beispielsweise zahlreiche Zahnbehandlungen über sich ergehen lassen, in dem Glauben, dass dort die Ursache liegt. Aus diesem traurigen Kontext heraus hat die Trigeminusneuralgie mittlerweile auch einen zweiten Namen erhalten: die «Suizid-Krankheit». Der Leidensdruck kann so gross sein, dass sich betroffene Personen aus absoluter Verzweiflung über diese unerträglichen Schmerzen das Leben nehmen.

    Wie wird die Erkrankung diagnostiziert und wie kann sie behandelt werden?

    Bereits in der Sprechstunde kann eine Fachperson – aus der Neurochirurgie oder Neurologie – die Verdachtsdiagnose einer Trigeminusneuralgie stellen. Sind die Schmerzen typisch und lassen sich reproduzierbar auslösen, ist eine Trigeminusneuralgie wahrscheinlich. Um andere Ursachen für eine Nervenreizung auszuschliessen, wird eine Bildgebung des Kopfes (in der Regel eine Magnetresonanztomografie) angefertigt.

    Die Behandlung erfolgt dann zunächst medikamentös. Dabei werden besondere Schmerzmittel verwendet. Bei einem Teil der Patientinnen und Patienten führt dies bereits zu einer deutlichen Linderung der Beschwerden. Oft ist die Wirkung jedoch nicht ausreichend oder es treten starke Nebenwirkungen auf. Ab diesem Zeitpunkt sollte über eine Operation nachgedacht werden. Damit kann die Ursache für die Schmerzen direkt behoben werden: Das kleine Blutgefäss wird vom Nerv gelöst und ein kleiner Teflonschwamm als «Puffer» dazwischengelegt, sodass der Nerv nicht mehr gereizt wird. 

    Welche Vorteile bietet die Operation gegenüber herkömmlichen Behandlungen?

    Bei der Operation wird das Gefäss an der Aussenseite des Gehirns vom Nerv gelöst; so kann die Ursache direkt behoben werden und nicht nur die Symptome eingedämmt werden. Der Eingriff dauert in der Regel etwa eine Stunde, und die meisten Patientinnen und Patienten sind im Anschluss sofort schmerzfrei. Die Medikamente können abgesetzt werden und die Betroffene ab sofort ein normales Leben führen.

    PETER-Register

    Vieles ist noch unbekannt, wenn es um das Verständnis und die Therapie der Trigeminusneuralgie geht. Klinikabhängig unterscheiden sich auch die Interpretation und die Behandlung der Erkrankung häufig.

    Aus diesem Grund hat die Klinik für Neurochirurgie des KSA unter der Federführung von Oberärztin Dr. med. Debora Cipriani, Dr.med. Stefanie Bauer und der Leiterin des Neuroresearch Office, Dr. Stefanie Pflugi, eine internationale Umfrage zur «current practice» durchgeführt. Das Interesse war so gross, dass daraufhin ein eigenes, neues Register ins Leben gerufen werden konnte: das sogenannte PETER-Register

    prospective register study to assess eligibility for and efficacy of surgical treatment in patients with neurovascular conflict – clinicaltrials.gov NCT07135024

    In diesem Register werden rückwirkend, aber vor allem auch in Zukunft von allen Zentren Patientinnen und Patienten mit einer Trigeminusneuralgie erfasst, inklusive ihrer Symptome, Befunde und Behandlungen. Auf diese Weise können die Zusammenhänge für diese seltene Erkrankung besser verstanden und für alle Betroffenen die bestmögliche Behandlungsstrategie entwickelt werden.

    Wie hoch ist das Risiko und kann man von einer dauerhaften Heilung sprechen?

    Jede Operation birgt das Risiko von Komplikationen wie Blutungen oder Infektionen. Entscheidend ist wie immer, dass die Operation in einem Zentrum mit grosser Erfahrung durchgeführt wird. Dann sind die Risiken des Eingriffs sehr gering und die Chancen auf eine dauerhafte Heilung sehr hoch.

    Was macht das KSA zu einem der führenden Standorte für die Behandlung der Trigeminusneuralgie?

    Die Trigeminusneuralgie ist nach wie vor eine eher seltene Erkrankung. Umso wichtiger ist es, über entsprechende Erfahrung bei der Diagnosestellung und in der Behandlung zu verfügen. Aufgrund der hohen Nachfrage haben wir in der Neurochirurgie am KSA eine spezielle Sprechstunde für diese Behandlungssuchenden eingerichtet. Wir beraten und behandeln pro Jahr etwa 40 Patientinnen und Patienten, darunter viele, die bereits anderweitig ohne nachhaltigen Erfolg behandelt wurden, oder Betroffene, die eine Zweitmeinung einholen möchten.

    Mit diesen Fallzahlen gehören wir mittlerweile zu den grössten Zentren im deutschsprachigen Raum, mit entsprechend grosser Erfahrung.

    Viele Betroffene durchlaufen eine lange Odyssee, bis die Diagnose gestellt wird. Woran liegt das und wie kann sichergestellt werden, dass Menschen früher Hilfe bekommen?

    Ich glaube, dass Kampagnen und Informationen wie diese einen wichtigen Beitrag leisten, um das Bewusstsein für die Erkrankung zu schärfen. Chronische Schmerzen können viele Ursachen haben. Je mehr Patientinnen und Patienten sowie Fachpersonen über die möglichen Ursachen wissen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, die richtige Diagnose zu stellen und eine gute Therapie zu finden.

    Gerade bei der Trigeminusneuralgie sehen wir, dass oft ein gewisser Fatalismus besteht. Nicht selten bekommen betroffene Patientinnen Patienten zu hören, dass sie sich mit den Schmerzen abfinden müssten. Dabei ist genau das heute in vielen Fällen nicht mehr nötig.

    Was möchten Sie Betroffenen in dieser Situation mit auf den Weg geben?

    Bei einer klassischen Trigeminusneuralgie gibt es sehr gute Therapieoptionen. Die Operation ist eine davon und birgt in erfahrenen Händen ein sehr geringes Risiko bei hohen Erfolgsaussichten. Das ist vielerorts noch nicht bekannt. Genau deshalb bieten wir am KSA die spezialisierte Sprechstunde für Betroffene an.

    Weitere Informationen finden Sie hier:

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