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Schlaganfall

23. November 2020

Beim Eintreten eines Schlaganfalls ist schnelles Handeln gefragt. Die Qualität und der Erfolg der Therapie hängen massgeblich davon ab, dass die Behandlung in einer speziell dafür ausgerichteten Einrichtung stattfindet – einem sogenannten Stroke Center. Prof. Dr. Krassen Nedeltchev, Chefarzt der Neurologie und Leiter der Stroke Unit am Kantonsspital Aarau, erklärt die Bedeutung einer spezialisierten Versorgung bei Schlaganfällen.

  • Autor / Autorin Prof. Dr. med. Krassen Nedeltchev
  • Lesedauer ca. 4 Minuten
  • Themen Hirn / Nervensystem
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Der Schlaganfall ist den meisten Leuten ein mehr oder weniger vager Begriff. Was ist ein Schlaganfall genau?

Ein Schlaganfall bedeutet, dass die Blutzufuhr in einem Bereich des Gehirns unterbrochen ist. Je mehr Gehirnzellen durch die fehlende Blutzufuhr absterben, desto schwerer können die Folgeschäden ausfallen. Deshalb muss immer rasch gehandelt werden.
Es werden zwei verschiedene Formen von Schlaganfällen unterschieden: In 85 Prozent der Fälle verstopft ein Blutgerinnsel ein Gefäss. Die Nervenzellen im betroffenen Bereich erhalten zu wenig oder gar keinen Sauerstoff und keine Nährstoffe. In den restlichen 15 Prozent der Fälle ist eine Hirnblutung vorhanden. Durch das Platzen eines Gefässes ergiesst sich Blut in das Gehirn. Der Druck des austretenden Blutes schädigt das umliegende Gewebe zusätzlich.

Häufige Symptome eines Schlaganfalls sind Seh-, Sprach-, Empfindungs- und Gleichgewichtsstörungen sowie auch Schwäche, Lähmungen und Schwindel. Bei Frauen sind mögliche Symptome auch Kopfschmerzen, Übelkeit oder Atemnot. Diese Beschwerden können auch andere Ursachen haben. Wie weiss man, wann man reagieren muss?

Typisch bei einem Schlaganfall ist, dass die Symptome plötzlich an einem bestimmten Ort auftreten – beispielsweise ist eine Körperseite, ein Teil des Gesichtsfelds oder die Sprache betroffen. Zudem treten die Symptome in einer Art auf, die man nicht kennt: ungewöhnliche Kopfschmerzen oder ein bisher unbekannter Schwindel sind Anzeichen.
Die Behandlungsmöglichkeiten eines Schlaganfalls sind in den ersten Minuten und Stunden nach Auftreten der Symptome am grössten. Deshalb muss sofort die Notrufnummer 144 alarmiert werden. Ein Patient oder eine Patientin meldet sich lieber zehn Mal zu oft als einmal zu wenig.

Spielt es eine Rolle, in welches Spital ein Patient oder eine Patientin gebracht wird?

Ja, allerdings. In der Schweiz wissen viele Menschen nicht, dass Schlaganfälle in spezialisierten Schlaganfall-Zentren behandelt werden müssen. Nur etwa die Hälfte aller Patienten landen in solchen Zentren wie beispielsweise dem Stroke Center des KSA. Dieses bietet viele Vorteile.

Welche sind das?

Die Behandlungskonzepte sind hochstandardisiert. Sobald uns der Rettungsdienst oder ein Partnerspital informiert, dass ein Patient oder eine Patientin auf dem Weg zu uns ist, bereiten sich die verschiedenen Fachpersonen vor.
Wir messen auch die verstrichenen Minuten sämtlicher Etappen: Von den ersten Symptomen bis zum Eingang des KSA, danach bis zur Durchführung der Computertomographie und der Injektion bis zur Wiedereröffnung (Rekanalisation) der Gefässe. Ein eingespieltes Team bestehend aus dem Rettungsdienst, den Neurologen, dem Pflegepersonal des Notfalls, den Neuroradiologinnen oder den Intensivmedizinern behandelt die Patientinnen und Patienten. Diese erhalten so die optimale Behandlung in möglichst kurzer Zeit.

Zusätzlich verfügt das KSA über eine Stroke Unit.

Genau. Nach der Behandlung überwachen wir die Patientinnen und Patienten auf der sogenannten Stroke Unit. Vor allem in den ersten 72 Stunden nach einem Schlaganfall ist eine engmaschige Überwachung von grosser Bedeutung. In diesem Zeitraum ist die Gefahr für ein erneutes Ereignis am grössten. Als erstes Spital der Schweiz haben wir dort die Überwachung mittels mobiler Geräte eingeführt. Das heisst, die Patientinnen und Patienten müssen nicht drei Tage im Bett liegen, wir können sie aber trotzdem ununterbrochen überwachen

Welches ist die grösste Herausforderung für Sie und ihr Team?

Wir erhalten Zuweisungen von anderen Spitälern. Manchmal müssen wir Entscheidungen auf Grundlage unklarer Datenlage fällen. Kürzlich hatten wir eine Patientin, deren erste Symptome bereits vier Tage zurücklagen. Wir haben festgestellt, dass ein bestimmter Bereich des Gehirns zwar minderdurchblutet, aber der Schaden im Hirngewebe noch nicht irreversibel ist. Zudem hatte die Patientin noch sehr milde Symptome. In solchen Fällen ist die Risiko-Nutzen-Abwägung besonders schwierig. Es stellt sich die Frage: Macht eine Behandlung zur Reduktion der Symptome Sinn oder könnte diese sogar neue Symptome provozieren? Wir haben uns zugunsten einer Behandlung entschieden und eine komplikationslose Wiedereröffnung des verstopften Blutgefässes erzielen können.

Was muss bei der Behandlung von Schlaganfall-Patienten und -Patientinnen besonders beachtet werden?

Der Schlaganfall tritt oft in einem fortgeschrittenen Alter auf. Ein heikles Thema ist es, die Wünsche der Patientinnen und Patienten herauszufinden. Manche von Ihnen können sich ein Leben mit einer Behinderung nicht vorstellen. Sie geben an, in einem solchen Fall lieber zu sterben. Trifft dann der Fall ein, dass der Schlaganfall bleibende Folgeschäden verursacht, ändern sie oft ihre Meinung und erachten ihr Leben mit gewissen Einschränkungen doch als lebenswert. In solchen Fällen gilt es, genau herauszufinden, was die Patienten möchten. Dies ist ein längerer Prozess uns setzt ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt oder Ärztin und Patient oder Patientin voraus.

Welches sind häufige Folgeschäden?

Einseitige (Gesichts-)lähmungen, Sprach-, Geh- oder Wahrnehmungsstörungen gehören zu den häufigsten Folgeschäden. Das Schlimmste dabei ist für die Betroffenen der Verlust der Autonomie. Bei einer hochgradigen Lähmung beispielsweise kann die Person nicht mehr selbstständig aufstehen, sich nicht mehr waschen, anziehen oder ohne fremde Hilfe auf die Toilette gehen. Für ältere aber auch gerade junge Menschen ist dies ein harter Schicksalsschlag.

Was fasziniert Sie besonders an Ihrer Tätigkeit als Leiter des Stroke Center?

Wir haben eine sehr leistungsfähige Neurologie am KSA. Das Team besteht aus 35 Ärztinnen und Ärzten, die sich in ihren Bereichen vertiefen können, gleichzeitig den Überblick über das Ganze nicht verlieren und sehr flexibel sind. Wenn es darum geht, Neues zu entwickeln, können wir schnell umdisponieren.

Was heisst das konkret?

Wir setzen uns dafür ein, unser Stroke Center stetig noch besser und effizienter zu gestalten. So haben wir beispielsweise zusammen mit dem Kantonspital Zug eine Software für die automatisierte Auswertung von bestimmten Bildgebungen implementiert. Dies bedeutet, dass wir bereits wenige Minuten nach Aufnahme der Bilder wissen, wo sich ein Gefässverschluss befindet oder wie viel Gewebe gefährdet ist beziehungsweise pro Minute verloren geht. So können wir rasch und gezielt handeln und Folgeschäden möglichst vermeiden.

Gibt es einen Patienten oder eine Patientin, der oder die Ihnen in Erinnerung geblieben ist?

Einer meiner Patienten hat sich sehr engagiert in seinem Beruf – er war ein Workaholic. Er hatte einen Schlaganfall erlitten. Nachdem er sich erholt hatte, veränderte er seine Lebensweise grundlegend. Er sagte mir einmal, er hätte an Lebensqualität gewonnen durch den Schlaganfall.

Interview: Stefanie Probst

Stroke Center des KSA

Das Stroke Center des Kantonsspitals Aarau ist eines von insgesamt zehn Schlaganfallzentren in der Schweiz. Die Fachärzte behandeln dort 365 Tage im Jahr rund um die Uhr Patienten mit Schlaganfall, transitorisch ischämischer Attacke (TIA, Streifung), Hirnblutungen, Hirnvenenthrombosen sowie zerebralen und spinalen Gefässmalformationen. Für das Zusammenspiel der Fachdisziplinen erhielt das Spital bereits dreimal Bestnoten.

Fakten

Schlaganfälle sind:

  • Die häufigste Ursache von Langzeitbehinderungen

  • Die zweithäufigste Ursache einer Demenz

  • Die dritthäufigste Sterbeursache in der Schweiz

Nicht beeinflussbare Risikofaktoren:

  • Alter, Geschlecht, erbliche Veranlagung

Ein gesunder Lebensstil kann das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, um 80 Prozent senken.

Die wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren:

  • Erhöhter Blutdruck

  • Erhöhte Blutfettwerte

  • Rauchen

  • Mangel an körperlicher Aktivität

  • Übergewicht

  • Einseitige Ernährung

  • Übermässiger Alkoholkonsum

  • Stress

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