• KSA Kantonsspital Aarau KSA Kinderspital Aarau KSA Bahnhof Aarau KSA Lenzburg
  • Blog

    Trauern ohne Ende

    17. Dezember 2025

    Über den Tod eines geliebten Menschen kommen nicht alle Trauernden allein hinweg. Sie benötigen professionelle Hilfe.

    • Fachperson Kristin Murpf
    • Lesedauer ca. 5 Minuten
    Teilen

    Der frühe Tod ihrer Mutter macht Veronique Baumann (Name geändert) stark zu schaffen. «Ich habe mit Mami einen Teil von mir verloren», sagt die 45-Jährige. Sie habe ihre Mutter infolge eines bösartigen Hirntumors vor sechs Jahren «viel zu früh» verloren.

    Baumann litt mehr als eineinhalb Jahre unter einer akuten Trauer. Sie weinte viel, hatte schlaflose Nächte und sie grübelte. Hätte man die Krankheit früher entdecken können? Warum so eine grausame Krebsart? «Die Krankheit entstellte meine Mutter richtiggehend», sagt sie. Bis heute hat Baumann grosse Schwierigkeiten, zu akzeptieren, dass ihre Mutter verstorben ist.

    Trauern ist normal. Doch Trauer kann auch krankhafte Formen annehmen.

    Auch die Familie leidet mit

    In der akuten Trauerphase war auch das Umfeld von Veronique Baumann stark mitbetroffen. «Ich musste den Alltag weiterhin irgendwie bewältigen», sagt die alleinerziehende Mutter zweier minderjähriger Kinder, die Teilzeit als Kauffrau arbeitet. «Ich schaffte es nur mit Mühe und Not.» Die Kinder hätten ihr jedoch in dieser Zeit viel Kraft gegeben. Hilfe erhielt sie von einem kleinen Kreis von Freundinnen und vor allem von ihrer Grossmutter. Ein Teil der Herkunftsfamilie hätte ihr dagegen den Rücken gekehrt.

    Baumann leidet an einer «anhaltenden Trauerstörung», die es als Diagnose erst seit 2022 gibt. «Dabei überschreitet die Trauer betreffend Dauer und Intensität das erwartbare Mass deutlich», sagt die Fachpsychologin für Psychotherapie, Kristin Murpf, die am Kantonsspital Aarau die Leitung des Fachbereichs Psychoonkologie innehat. Laut neueren Zahlen leiden 3 bis 5 Prozent der Menschen an einer anhaltenden Trauerstörung.

    Nicht allein mit der Trauer

    Trauercafés bieten einen geschützten Raum, um sich mit anderen Trauernden auszutauschen, begleitet von einer Fachperson. Es ist ein Ort für Menschen jeder Glaubens- und Gesinnungsrichtung, die einen Verlust erlebt haben. Egal, ob dieser Verlust aktuell oder länger her ist.

    Trauercafé, Kantonsspital Aarau, jeweils am ersten Dienstag im Monat von 16 bis 17.30 Uhr in einem Raum auf dem Areal des KSA.

    «Trauer absprechen ist respektlos»

    Wer einen geliebten Menschen verliert, der trauert – «das ist erst mal eine natürliche Reaktion», hält Murpf fest. Die meisten Menschen fänden nach einer akuten Trauerphase wieder in den Alltag zurück. Trauer erfordere von den Betroffenen eine grosse Anpassungsleistung.

    Es gibt jedoch verschiedene Gründe, warum dies nicht gelingen kann: zum Beispiel durch einen sehr plötzlichen unerwarteten Tod wie Suizid, einen Unfall oder durch eine Naturkatastrophe. Hinzu kommen oft zusätzliche Belastungen der trauernden Person wie eine psychiatrische oder körperliche Erkrankung.

    Ob ein Mensch übermässig trauert, lässt sich nicht so einfach sagen. Es gibt jedoch laut Murpf Diagnosekriterien: ein starkes Verlangen nach der verstorbenen Person, anhaltende Beschäftigung mit der verstorbenen Person, begleitet von sehr starken schmerzhaften Emotionen wie Trauer, Wut, Schuld oder Verleugnung, oder emotionale Taubheit. Ausserdem übersteigt die Trauer die sozialen, kulturellen und religiösen Normen bei weitem. Konkret bedeute dies, so Murpf, wenn die Intensität der erlebten Gefühle äusserst stark ist und die Dauer dieser akuten Trauer mehr als sechs bis zwölf Monate ist. Hinzu kämen deutliche Beeinträchtigungen im Leben der trauernden Person. Nicht die Dauer, sondern die Intensität der akuten Trauerphase sei dabei massgebend. Jemandem jedoch die normale Trauer auch lange nach einem Jahr abzusprechen, fände sie durchwegs respektlos.

    Gute Tipps sind nicht gefragt

    Veronique Baumann holte sich erst Hilfe, als sie selbst eine Krebsdiagnose erhielt, drei Jahre nach dem Tode ihrer Mutter – in Form von psychoonkologischen Gesprächen. Murpf bietet solche Gespräche an. Dabei versucht sie zunächst herauszufinden, ob es sich wirklich um eine «anhaltende Trauerstörung » oder um eine normale Trauerreaktion handelt. Sie nennt dies dann Trauerbegleitung.

    Zu Beginn der Behandlung geht es vor allem darum, die Situation zu stabilisieren: mit den Trauernden Techniken zu finden, den Schmerz in akuten Trauerphasen zu bewältigen. Danach wendet sich die Psychotherapeutin zusammen mit der trauernden Person den Gefühlen und den Gedanken zu, um sich mit diesen auszusöhnen. Viele Trauernde fühlen sich isoliert und unverstanden, was lähmend ist. Auch «gute Tipps» helfen da wenig; die wirken sogar oftmals eher verletzend als unterstützend.

    Murpf stützt sich in ihrer Arbeit auf die Vorstellung, dass die Liebe zum Verstorbenen bleiben darf, der Schmerz aber, der darf gehen. Die Verbindung zur verstorbenen Person soll und darf aufrechterhalten bleiben. Zukunftsorientierte Themen wie Pflege von Freundschaften oder konkrete Pläne für die nächste Zeit kommen im Verlauf der Therapie ebenfalls zur Sprache. Hilfreich für die Trauerbewältigung sind auch Trauercafés, die mittlerweile vielerorts angeboten werden, auch am Kantonsspital Aarau.

    Heute geht es Baumann deutlich besser, und der Alltag fällt leichter. «Doch die grosse Trauer um meine Mutter konnte ich noch nicht überwinden», sagt sie.

    Autor

    Stefan Müller