Tabuthema Inkontinenz bei Frauen
20. Oktober 2025
Gegen eine halbe Million Frauen in der Schweiz leben mit einer Inkontinenz. Viele davon machen das Problem mit sich selbst aus. Dabei lässt sich eine Inkontinenz oft einfach und wirksam behandeln.
- Fachperson Dr. med. Elisaveta Gerova
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Brigitte N. wusste, dass Inkontinenz nach Geburten oder mit dem Alter eintreten kann. Es fing schleichend an. Erst dachte sie, sie würde die Inkontinenz mit Beckenbodentraining und Physiotherapie in den Griff bekommen. Dem war aber nicht so. Im Gegenteil, die Inkontinenz wurde stärker, insbesondere in stressigen Momenten. Etwa ein Jahr lang hat sie gewartet, bis sie sich ans Beckenbodenzentrum des KSA wandte.
Heute frage sie sich: «Warum bin ich nicht schon früher gegangen?» Eine Aussage, die Dr. med. Elisaveta Gerova, Leiterin des Beckenbodenzentrums und Oberärztin an der Frauenklinik, oft hört.
Inkontinenz muss frau nicht hinnehmen
Für viele Betroffene ist Inkontinenz ein Tabu, dessen Nachteile sie erdulden. Mit diesem zu brechen und Frauen zu ermuntern, sich behandeln zu lassen, ist ihr wichtig. «Es gibt sehr gute und unkomplizierte Behandlungen, welche die Lebensqualität spürbar verbessern», erklärt die Ärztin. Dass diese Behandlungen wirken, bestätigen der Ärztin 95 Prozent zufriedene Patientinnen.
Laut einer internationalen Studie leiden 44 Prozent der Frauen an Inkontinenz. Eine häufige Form ist die Belastungsinkontinenz. Typisch für eine solche ist der unkontrollierte Urinverlust bei körperlicher Anstrengung, etwa beim Husten, Lachen, Springen oder beim Sport. Die Ursache liegt nicht nur in der Blase selbst, sondern auch in der geschwächten Haltefunktion der Bänder der Harnröhre.
«Wenn der Druck im Bauchraum steigt, kann die Harnröhre dem nicht mehr genug entgegensetzen, und es kommt zum Urinverlust», erklärt Dr. med. Elisaveta Gerova. Verschärfe sich das Problem, reduzierten viele Frauen ihre Trinkmenge oder verzichteten auf Sport. Doch das müsse nicht sein, denn die Behandlungsmöglichkeiten seien vielfältig.
Gute Abklärung, gute Therapien
Am Anfang jeder Behandlung steht eine sorgfältige Abklärung: Fragebögen, ein Blasentagebuch, eine körperliche Untersuchung und gegebenenfalls eine Blasendruckmessung (Urodynamik). «Allein durch die Fragebögen und das Blasentagebuch gewinnen wir oft schon entscheidende Hinweise», sagt Gerova.
Je nach Befund erfolgt die Therapie konservativ, etwa mit Beckenbodenphysiotherapie oder Pessaren. Viele Beschwerden lassen sich so gut in den Griff bekommen. Wenn der Leidensdruck hoch ist oder die Beschwerden seit Jahren bestehen, hilft ein kleiner Eingriff. Diesem hat sich auch Brigitte N. unterzogen.
Das zertifizierte interdisziplinäre Beckenbodenzentrum am KSA bietet ein breites Leistungsangebot für konservative und für chirurgische Behandlungen bei Beckenbodenproblemen. Bei komplexen Situationen wie Beckenbodenschwäche, Blasenentleerungsstörungen oder Stuhlinkontinenz spannen die Spezialistinnen und Spezialisten zusammen. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit aus Gynäkologie, Urologie, Proktologie und Physiotherapie entstehen ganzheitliche Therapiekonzepte.
Drei Fragen an Dr. med. Elisaveta Gerova, Leiterin Beckenbodenzentrum und Oberärztin Frauenklinik
Nach einer Geburt leiden viele Frauen unter Senkungsbeschwerden oder Inkontinenz. Was raten Sie Frauen, deren Familienplanung noch nicht abgeschlossen ist?
Eine Geburt belastet den Beckenboden – das gilt auch dann, wenn per Kaiserschnitt entbunden wird, denn bereits die Schwangerschaft beansprucht das Gewebe. Ob Beschwerden auftreten, hängt zudem vom individuellen Bindegewebe und vom Zustand des Beckenbodens vor der Schwangerschaft ab. Gezielte Rückbildungsgymnastik oder Beckenbodenphysiotherapie kann die Beschwerden deutlich lindern. Nach der Geburt können konservative Massnahmen wir Rückbildungsgymnastik, gezielte Beckenbodenphysiotherapie oder auch Pessare helfen, den geschwächten Beckenboden zu stützen, sowohl bei Inkontinenz als auch bei Senkungen.
Wie kann der Beckenboden bereits vor oder während der Schwangerschaft gestärkt werden, um einer Inkontinenz vorzubeugen?
Ich empfehle Frauen, bereits vor der Schwangerschaft mit Beckenbodenübungen zu beginnen. So wird die Wahrnehmung und Steuerung des Beckenbodens verbessert, was eine gute Ausgangslage schafft. Die Übungen können während der gesamten Schwangerschaft fortgeführt werden. Entscheidend ist, dass die Übungen gezielt die Muskulatur unterstützen, die Gebärmutter, Blase und Darm trägt. Die Übungen helfen zudem, die verschiedenen Beckenbodenschichten wahrzunehmen. Es ist wichtig, dass die Übungen korrekt ausgeführt werden. Eine Beckenbodenspezialistin oder ein Beckenbodenspezialist kann individuell zeigen, welche Übungen am besten geeignet sind.
Wie aufwendig ist eine Operation zur Behandlung einer Beckenbodensenkung – und was bedeutet das für die Patientin?
Operationen zur Behandlung einer Beckenbodensenkung zielen darauf ab, die Lebensqualität der Patientinnen zu verbessern. Grundsätzlich gibt es zwei minimalinvasive Zugänge: die Bauchspiegelung oder den Zugang von der Scheide aus. Beide Methoden ermöglichen eine schnelle Erholung. Bei der Bauchspiegelung kann ein Netz zur Stabilisierung der Beckenorgane eingesetzt werden, während bei vaginalen Eingriffen meist das körpereigene Gewebe gestrafft wird. Mit beiden Operationstechniken können mehrere Beckenbodendefekte gleichzeitig korrigiert werden, beispielsweise eine Blasensenkung zusammen mit einer Gebärmuttersenkung. Eingriffe von der Scheide aus können zudem in Rückenmarksanästhesie durchgeführt werden.
Die Schlingen-OP: ein wirkungsvoller Eingriff
Bei der sogenannten Schlingenoperation wird eine feine Bandstruktur unterhalb der Harnröhre angelegt. Der Eingriff dauert nur etwa 20 Minuten, erfolgt in Lokalanästhesie und die Patientinnen sind währenddessen wach. «Wir lassen die Patientinnen während des Eingriffs husten, um die Schlinge optimal zu positionieren», sagt Elisaveta Gerova. Das Ziel sei, dass die Frauen keinen Urin mehr verlieren, die Schlinge aber nicht zu eng sitzt, damit sich die Blase vollständig entleeren kann. Die Patientinnen bleiben eine Nacht am KSA, erholen sich meist schnell und benötigen kaum Schmerzmittel. Brigitte N. verspürte nach der OP noch ein leichtes Brennen, das sich nach ein paar Tagen legte.
Überaktive Blase und nächtliche Inkontinenz
Eine andere Ursache für eine Inkontinenz kann auch eine überaktive Blase sein – also ein ständiger, oft plötzlichen Harndrang. Diese wird zum Beispiel mit Beckenbodentherapie, Elektro-therapie, Medikamenten oder durch Botox-Injektionen in die Blase behandelt. Die nächtliche Inkontinenz ist seltener, bedarf aber einer vertieften Abklärung, da die Ursachen vielfältige Gründe haben können.
Intim, aber nicht tabu
Frauengesundheit betrifft alle Lebensphasen einer Frau – von der ersten Periode bis ins hohe Alter. Themen wie Endometriose, Inkontinenz oder Brustkrebs bewegen, können aber auch verunsichern. In unserer Frauenklinik am KSA stehen Sie als Frau im Mittelpunkt – wir begleiten Sie mit Wissen, Empathie und moderner Medizin durch alle Lebensphasen.
Auf frauengesundheit.ksa.ch finden Sie vielfältige Inhalte rund um die Frauengesundheit: verständliche Erklärungen, praktische Tipps sowie Einblicke in die Arbeit unserer Spezialistinnen und Spezialisten.